Nicht alles unter einen Hut pressen

Manche bewundern uns, weil wir uns gegen Burnouts wehren, andere beschwören unseretwegen den Untergang ihres hart erarbeiteten Wohlstands. «Wir leben nicht für Erfolg», findet Bajour-Praktikant und Gen Z-ler Jan.

Kommentar Gen Z Jan Soder
Ein Stück Pfannkuchentorte mit der Katze geniessen. Das ist Erfolg.

Die Arbeitsmoral der Gen Z wurde in den letzten Tagen wieder einmal an den Pranger gestellt. Zuerst meinte der deutsche Generationenforscher Rüdiger Maas im Interview mit CH Media über die heutigen 14- bis 28-Jährigen: «Sie haben nicht gelernt, sich mal durchbeissen zu müssen.» Darauf wehrte sich CH-Media-Redaktorin und Gen Z-lerin Linda Leuenberger und schrieb in ihrer Replik: «Zum Glück reissen wir ein System nieder, in dem sich Burnout-Fälle wie ein Virus vermehren.» Dies störte wiederum ihren Kollegen Simon Maurer, der in seinem Kommentar Maas’ Theorie bekräftigte. 

Dass meine Generation eine andere Arbeitseinstellung pflegt als die Generationen davor, kann und will ich nicht abstreiten. Dass sich ältere Bürogspänli darüber nerven, überrascht nicht. In der Schweiz sind wir schliesslich stolz auf unsere Arbeitsmoral. Da passt es nicht, dass die Jungen mit weniger Engagement am Arbeitsplatz durchkommen. 

Wir leben nicht für Erfolg, sondern sehen unser Leben als Erfolg.

Maas und Maurer muss ich Recht geben, wenn sie sagen beziehungsweise zitieren: «Für die Jungen sind die ganz grossen Ziele mittlerweile unrealistisch: Ein Haus kann sich der Mittelstand kaum mehr leisten.» Das ist effektiv ein Fakt über den ich mir Gedanken mache. Wofür der Fleiss, wenn kein Preis winkt? Immerhin bin ich in einer privilegierten Situation aufgewachsen und meine Eltern konnten sich den Traum vom Eigenheim noch realisieren. Derweil gibt es Jugendliche, die deutlich grössere finanzielle und materielle Probleme zu beklagen haben. Einen Ansporn zum Schuften gibt es nicht. Der finanzielle beziehungsweise soziale Aufstieg kann heutzutage kaum noch durch hartes Arbeiten erreicht werden.

Zudem hat meine Generation verstanden, dass – genauso wie die Ressourcen unseres Planeten – das wirtschaftliche Wachstum nicht endlos sein kann. Also leben wir nicht für Erfolg, sondern sehen unser Leben als Erfolg. Dazu gehört zum Beispiel die Hingabe zum Hobby, das freiwillige Engagement oder der politische Aktivismus. Auch wenn aktuell die Seniorinnen Schlagzeilen machen, war es unsere Generation, die sich organisiert und engagiert hat, auf die Strasse ging und Parolen schrie, um sich für eine lebenswerte Zukunft einzusetzen. Das zeugt doch für die Bereitschaft, aktiv zu werden.

Und nebenbei: Maas findet, unsere Eltern verhätscheln uns zu sehr. Dass wir beim Nachhausekommen nach dem Klimastreik nicht mit beängstigenden Konsequenzen rechnen müssen, schmälert unsere Arbeitsmoral aber genauso wenig wie das Smartphone.

Die «Hustle Culture» wurde meiner Generation auf unseren Instagram-Feeds und TikTok-For-You-Pages ad absurdum vorgeführt.

Neulich wurde mir auf Instagram ein Meme mit folgendem Slogan angezeigt: «Stop glorifying ‹the grind› and start glorifying whatever this is.» Darunter ein Bild aus der Kinderbuchreihe Pettersson und Findus. Dieses Weltbild steht im Kontrast zum «Grind» beziehungsweise zur «Hustle Culture» – also dem Prahlen mit der eigenen übermässigen Arbeitslast. Die «Hustle Culture» wurde meiner Generation auf unseren Instagram-Feeds und TikTok-For-You-Pages ad absurdum vorgeführt. Kein Wunder kehren wir dem den Rücken zu. 

Wer will schon um fünf Uhr morgens ins Fitnessstudio gehen, um nach einem Proteinfrühstück und 100 gelesenen Seiten im krassesten Self-Improvement-Buch pünktlich um sieben Uhr auf der Arbeit aufzukreuzen, damit man nach Feierabend genügend Zeit hat, um sich um die eigene finanzielle Freiheit zu kümmern und am besten noch schnell die Welt zu retten, bevor man sich für drei Stunden Schlaf fast schämen muss? Da geniesse ich lieber ein Stück Pfannkuchentorte – nach getaner Arbeit, versteht sich – in meinem Garten mit meiner Katze. Das ist Erfolg.

2024-04-23 Frage des Tages GEN Z-3
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Work-Life-Balance – dieser Begriff verkörpert die Generation meiner Eltern wie kaum ein anderer. Kein Wunder waren der häufigste Streitpunkt in meiner Kinderstube die Abendsitzungen meines Vaters oder das zu späte Nachhausekommen meiner Mutter. Meine Generation stellt sich dem nicht entgegen, sondern spinnt den Faden weiter. Das scheint auch Generationenforscher Maas in etwa verstanden zu haben, wenn er von der neuen Work-Life-Separation – also der Trennung von Arbeit und Freizeit – spricht. 

Mich stört an dieser Theorie jedoch die klare Teilung in zwei Schubladen. Es gibt mehr als bloss Arbeit und Freizeit. Wenn mich Bekannte auf mein freiwilliges Engagement beim lokalen Radiosender ansprechen, sagen sie oft: «Ah, arbeitest du dort?» Die Frage überfordert mich (und zwar nicht, weil ich als verweichlichter Gen Z-ler nicht mit unklaren Fragen umgehen kann). Ja, ich «arbeite» noch dort, wobei meine Tätigkeit nicht entlohnt wird. «Arbeite» ich also wirklich dort? Oder gehört das in die Schublade Freizeit? Oder wie steht es um mein Mitlaufen am Klimastreik? Entspannende Freizeit ist das nicht, aber in der Arbeitsschublade wäre es genauso fehl am Platz. Ausserdem konkurriert ein Abendessen mit meinem Bruder genauso mit potenziellen Überstunden wie die Bandprobe. 

Es macht also nur Sinn, meine Zeit auf weit mehr als zwei Schubladen aufzuteilen. Ich versuche, sie nicht zu balancieren, sondern trenne sie. Meine Generation versucht eben nicht alles unter einen Hut zu kriegen, sondern setzt sich ganz einfach mehrere Hüte auf. Dazu gehört eben auch die Baseball-Cap «Zeit mit Freund*innen» oder der Strohhut «Erholung». Uns ist bewusst, dass wir den Hut «Arbeit» nicht mehr aufsetzen können, wenn die anderen in dieser Rotation nicht auch Platz finden.

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