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It’s The Bodenpolitik, Stupid

Wie die aktuelle Diskussion um Parkplätze das eigentliche Problem überdeckt. Eine Analyse.

10/15/19, 01:40 PM

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(Foto: Unsplash)

Basel führt eine Parkplatzdiskussion. Wieder. Immer noch. Genau wie Zürich, Bern oder Genf. Dass dabei Fakten zurechtgebogen werden – geschenkt. Viel schlimmer ist, dass das Geschrei um Parkplätze von den grundlegenden Problemen ablenkt.

Schaut man sich die Diskussion nämlich ein bisschen genauer an, merkt man, dass sich hinter dem Gezänk um Parkplätze noch eine andere Problematik verbirgt: Die Geschichte des überhitzten Basler Bodenmarktes. In der Stadt herrscht ein Verdrängungskampf. Darin werden Mieter*innen und Gewerbe gegeneinander ausgespielt. Es verlieren alle.

Was ist passiert? 

Eigentlich gar nichts. Zumindest nichts Neues. Die Kurzversion geht so: Der Gewerbeverband wärmt in seinen «kmu news» eine alte Geschichte von einem Gewerbler auf, der ins Baselbiet zieht. Die «BaZ» übernimmt die Geschichte, wärmt noch eine zweite, ähnliche Geschichte auf, spricht von «Stadtflucht» und einer «rot-grünen Verkehrspolitik», die «ans Portemonnaie» gehe – und schon haben wir das Geschrei. Links beklagt, es handle sich um eine Kampagne gegen Rotgrün, rechts jammert, die Politik höre die Nöte des Gewerbes nicht. Same old, same old.

Gewerbeverband wärmt alte Geschichten auf, BaZ zieht nach

Doch es stellen sich Fragen. Zum Beispiel: Warum werden die Geschichten jetzt wieder aufgewärmt?

Anruf bei David Weber, Pressesprecher des Gewerbeverbands Basel-Stadt. Er sagt: «Ja, wir haben Selmoni-Chef René Fässler gefragt, ob er für einen «kmu news»-Bericht die Gründe für den Standortwechsel erläutert. Und natürlich hat das damit zu tun, dass wir zwei Initiativen am Laufen haben.» Die Initiativen kommen voraussichtlich im Februar vor das Volk. Sie wollen unter anderem die 2010 beschlossene Reduktion des motorisierten Verkehrs um zehn Prozent bis 2020 wieder aus dem Umweltschutzgesetz herausnehmen und fordert für jeden aufgehobenen Parkplatz einen Ersatz.

Nur die Geschichte verhebt nicht. Sowohl die «kmu news» als auch die «BaZ» schreiben, die Basler Behörden hätten Selmoni zu wenige Parkplätze bewilligt. Die Rede war von «122 Firmenfahrzeugen für 600 Mitarbeiter». Nachher kommt raus: Selmoni hat gar nie eine offizielle Bewilligung eingefordert und eigentlich geht es dem Unternehmen gar nicht um Parkplätze für Firmenautos, sondern für Mitarbeitende.

Interessanter ist aber Geschichte Nummer zwei. Auch sie konnte man bereits in den «kmu news» lesen. Sie handelt von Elektriker Daniel Hunziker, der aus Kleinhüningen nach Birsfelden zieht. Die BaZ schreibt: «Vor allem die Verkehrs- und Parkplatzsituation macht der Elektro-Firma zu schaffen.»

Firmenzeuge oder was?

Auch diese Geschichte dreht sich nicht, so wie in der «BaZ» dargestellt, nur um den Verkehr. Das merkt man, wenn man das «SRF Regionaljournal» hört, das Hunziker ebenfalls interviewt hat. Im Radio wird klar: Das Problem ist komplizierter. Hunziker leidet am bisherigen Standort in Kleinhüningen zwar durchaus auch am Verkehr: «Wir haben zu wenig Platz, um mit den Fahrzeugen vors Haus zu fahren.» Sie seien mitten im Wohnquartier, Kinder würden in die Schule gehen, alte Leute mit Rollatoren die Strasse überqueren. Und am Abend sei Stau: «Dann können wir fast nicht mehr zurück ins Geschäft.»

Es hätte nämlich durchaus alternative Standorte in Basel gegeben. Gegenüber «SRF» sagte der Firmeninhaber, er habe sich beispielsweise den Businesspark am Flughafen angeschaut. Doch: «Das ist am Preis gescheitert», sagt Hunziker. «Wir sind ein KMU, wir können nicht zehntausende Franken für die Miete ausgegeben.» In Birsfelden ist es günstiger.

Es geht also nicht nur um Parkplätze, es geht auch um Mietpreise. Der Platz in Basel-Stadt ist knapp, die Folge ist ein Verdrängungskampf. Ein Kampf, den auch viel zitierte Zahlen des statistischen Amts untermalen: Im Jahr 2017 wanderten insgesamt 103 Firmen ins Baseslbiet. Aber umgekehrt kamen nur 65 Unternehmen an.

Auch das Gewerbe in anderen Städten klagt

Es ist eine Entwicklung, die auch andere Städte kennen. Bajour hat mit den Gewerbeverbänden der Städte Zürich und Bern sowie der Romandie gesprochen. Nicole Barandun, Präsidentin des Gewerbeverbands der Stadt Zürich, sagt: «Das Gewerbe wird aus der Stadt verdrängt». Leonhard Sitter, Gewerbeverband Bern, und Véronique Kämpfen von der Féderation Enterprises Romandes erleben dasselbe.

Sie alle nennen die gleichen Gründe wie der Gewerbeverband Basel: Erstens der Mangel an Parkplätzen und die Staus. Zweitens: Das Verschwinden innerstädtischer Gewerbezonen zugunsten neuer Wohnüberbauungen. Sitter etwa sagt, die Stadt Bern forciere den Wohnungsbau ohne Rücksicht auf Verluste. Es ist eine Diskussion, die Basel in Zusammenhang mit dem Lysbüchel-Areal auch hatte. Der Gewerbeverband ergriff gegen die Mischnutzung das Referendum. Erfolglos.

Es ist doch so: Unter dem knappen Boden und den überteuerten Mieten leiden nicht nur die KMU. Sondern auch die Mieter*innen. Davon erzählen die vielen Massenkündigungen in Basel.

Wer ist wichtiger, die Mieter*innen oder das Gewerbe

Und was passiert? Die Interessensvertreter*innen der beiden Gruppen, also linke und rechte Politiker*innen, Gewerbe- und Mieter*innenverbände bekriegen sie sich wegen des städtischen Bodens. Und zeigen wenig Einfühlungsvermögen für die Sorgen der anderen Gruppe.

SP-Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin spricht zwar sein Bedauern aus, wenn er auf die abgewanderten Firmen angesprochen wird. Dann aber verweist er auf die positiven Seiten seiner Wirtschaftspolitik: Es sei ihm gelungen, verschiedene Start-Ups nach Basel zu holen. Unter dem Strich sei die Anzahl Stellen sogar gewachsen.

Die Stossrichtung seiner Argumentation: Schade um die traditionellen Unternehmer, aber gegen ihren Wegzug lässt sich wenig machen. «Wir leben auf 37 Quadratkilometern. Wir haben wenig Platz, und entsprechend muss dieser Raum bewirtschaftet werden. Es ist nicht alles möglich.»

«Wenn jemand im Lift stecken bleibt, ist er froh, wenn der Monteur in einer halben Stunde da ist und nicht erst nach zwei Stunden.»

David Weber vom Basler Gewerbeverband hingegen sagt: «Unternehmen und Mieter haben die gleiche Solidarität verdient.» Es gehöre zu einer lebendigen Stadt und einer diversifizierten Wirtschaft, «dass wir nicht nur Pharmaunternehmen, sondern auch Elektriker oder Sanitäre in der Stadt haben», sagt Weber. Das sei auch ökonomischer und ökologisch sinnvoller für den Kanton und die Kundschaft in der Stadt: «Je länger die Anfahrtswege des Gewerbes, desto teurer wird’s.» Oder wie der Berner Sitter sagt: «Wenn jemand im Lift stecken bleibt, ist er froh, wenn der Monteur in einer halben Stunde da ist und nicht erst nach zwei Stunden.»

Nur gibt es natürlich Unterschiede zwischen Zürich, Bern, Basel und der Romandie. Wenn Unternehmen aus Basel nach Münchenstein oder Birsfelden zieht, hat es bereits die Stadt und den Kanton verlassen. In Zürich wäre man noch längst innerhalb der eigenen Grenzen. Oder wie SP-Präsident Pascal Pfister sagt: «Wichtig ist doch, dass die Firmen in der Region bleiben.»

Investor*innen treiben Miete in die Höhe, Rotgrün hilft mit

Das Hauptproblem sei aber, dass es sich für Investoren*innen in Basel mehr lohne, Wohnungen zu bauen statt Gewerbeflächen, weil die Rendite höher sei. Dazu komme, dass die Investitionspraxis die Boden- und Mietpreise zusätzlich in die Höhe treiben.

In dieser Hinsicht muss sich aber gerade die SP selbst an die Nase nehmen. Auch die rotgrüne Regierung greift weniger aktiv in den Bodenmarkt ein als sie könnte. Jüngstes Beispiel: Das Klybeckareal. Als Novartis und BASF ankündigten, ihr Anteile des Areals verkaufen zu wollen, griff die Regierung nicht zu, sondern überliess den Boden der Investorin Central Real Estate beziehungsweise der Swiss Life.

Das könnte auch mit mutmasslichen Giftstoffen im Boden zu tun haben, sorgte innerhalb der Partei aber dennoch für Kritik, viele Sozialdemokrat*innen wünschen sich, dass der Staat eine stärkere Eigentümerrolle übernimmt. Die Zürcher SP-Nationalrätin und Immoblienexpertin Jacqueline Badran formulierte es in einem Interview mit der «TagesWoche» selig so: «Der Staat muss immer zuschlagen. Sonst ist das eine Veruntreuung von Volksvermögen.» Auf dem eigenen Areal müsse der Staat immer 100 Prozent gemeinnützige Wohnungen bauen, «alles andere geht nicht». Beim BASF-Areal sprachen die Behörden bislang von 15 Prozent gemeinnützigem Wohnungsbau, der neue Richtplan sieht für Arealentwicklungen einen Anteil von 33 Prozent vor. Eine linke Initiative fordert 50 Prozent gemeinnützige Wohnungen.

Basel-Stadt ist klein und hat wenig Boden. Und die Bevölkerung nimmt zu. Genügend Wohnraum zu schaffen, ist kompliziert. Verkehrsüberlastung zu vermeiden, auch. Das macht Frust. Die Parkplätze sind ein gefundenes Ventil dafür.

Dass wir uns richtig verstehen: Für Handwerker*innen, die abends auf dem Weg von der Baustelle in die Bude im Stau stecken oder vor einer Reparatur ewig rumkurven um einen Parkplatz zu suchen, ist die Parkplatzthematik wirklich mühsam. Vielleicht ist es aber Zeit, die Diskussion über Gewerbeverkehr vom Individualverkehr zu trennen. Freie Fahrt für alle will diese Stadt nicht, das hat sie in vergangenen Abstimmungen bewiesen.

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