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Frau. Grün. Migrantin.

Keine verkörpert das Klima- und Frauen*jahr wie die BastA!-Politikerin Sibel Arslan. Eine Analyse.

Andrea Fopp

10/21/19, 03:29 PM

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Staatsschreiberin Barbara Schüpbach musste am Wahlsonntag mit den Politiker*innen im Congress Center schimpfen: «Basel-Stadt hat fünf Nationalratssitze.» Sie war erst dazu gekommen, drei zu verlesen. Als sie den Namen «Sibel Arslan» ausgesprochen hatte, gab es zuerst Jubel, dann Sprechgesang. Politiker*innen des Grünen Bündnisses, Jugendliche, Kinder hüpften durch die Halle und riefen: «Sibel, Sibel, Sibel». Schüpbach kam nicht mehr zu Wort.

Basel hat gewählt. Weiblich, grün und jung. Am Wahlsonntag vom 20. Oktober manifestierte sich das Frauen*- und Klimajahr 2019. Die Bewegungen, die auf der Strasse begonnen hatten, schlugen sich an den Basler Wahlurnen nieder. Deutlich sichtbar wurde das sowohl beim Bündnis Grüne/BastA!, als auch den Grünliberalen. Sowohl auf den Stammlisten, als auch bei den Jungparteien, waren es Frauen*, die die meisten Stimmen holten. Die Männer* landeten konsequent auf den letzten Plätzen.

Kein*e Politiker*in verkörpert die Klima- und Frauen*bewegung wie Sibel Arslan. Im lachsfarbigen Anzug, Pünktlibluse und mit roten Lippen stand sie am Wahlsonntag inmitten von Politiker*innen in dunklen Anzügen und weissen Hemden und jubelte.

Medien und gestandene Politiker*innen sahen den Sitz verloren

Wir wollen nicht sexistisch das Aussehen einer einzelnen Politikerin* hervorheben. Aber so bunt Sibel Arslans Erscheinung, so unangepasst ihre Politik und Persönlichkeit sind, so farbig war auch ihr Wahlkampf. Und obwohl die Medien ihr das immer wieder zum Vorwurf machen, liegt genau darin eine ihrer Stärken.

Das Establishment hatte die 39-Jährige mit kurdischen Wurzeln schon vor ihrer Wahl vor vier Jahren für erledigt erklärt. Damit hörte es seither auch nie mehr auf. Medien und gestandene Politiker*innen sahen den Sitz verloren.

Und was passierte? Zuerst das, was häufig passiert: Ein alter, weisser Mann betrat im Sommer 2018 die Bühne. Der ehemalige Regierungsrat Guy Morin (Grüne) gab bekannt, er wolle den Sitz sichern und stelle sich für eine Kandidatur zur Verfügung. Die BastA!-Frauen* waren not amused.

Von Sibel Arslan hörte man lange nichts

Doch dann kam alles anders. Morin gab seinen Verzicht bekannt, das Frauen*- und Klimajahr 2019 brach an. Schweizweit gingen beim Frauen*streik Hunderttausende, bei den Klimaprotesten Zehntausende Menschen auf die Strasse. In Basel startete die SVP eine neue Runde der Selbstzerfleischung und brachte damit den eigenen Nationalratssitz ins Wanken.

Von Sibel Arslan hörte man lange nichts. Sehr lange. Die Medien verloren sich in arithmetischen und und weniger arithmetischen Auseinandersetzungen darüber, ob Arslan ihren Sitz halten könne oder trauerten Morin hinterher.

Derweil gleiste eine Gruppe von Leuten rund um den Studenten Marco Piffaretti in letzter Minute eine Kampagne für Sibel Arslan auf. Piffaretti gehört keiner Partei an, er machte das als Privatperson. Mit dabei ist auch Che Wagner. Der Mann, der auch bei der Abstimmung übers Grundeinkommen mit am Drücker war und der mit Kampagnen-Guru Daniel Graf am Aufbau der Stiftung für direkte Demokratie beteiligt war. Wagner mobilisierte «Sibels Freundinnen und Freunde»: Feminist*innen, Klimaaktivist*innen, Migrant*innen, ausserhalb des Establishments, das nicht an die Wiederwahl glaubte.

Gegen den Angriff von rechts verteidigen

Und dann, der September ist schon fast vorbei, sieht man plötzlich Schüler*innen der Klimajugend (beispielsweise Pauline Lutz) oder Feminist*innen (wie Franziska Schutzbach) Stimmung für Sibel Arslan machen. Stossrichtung: Diese grüne, linke Frau mit Migrationshintergrund muss man gegen den Angriff von rechts verteidigen. «Sibels Freundinnen und Freunde» mobilisierten nicht über die traditionellen Medien, sondern über ihre eigenen Kanäle in den Sozialen Medien, an Veranstaltungen und auf der Strasse.

Diese Kampagne ist Teil des Triumphs: Sibel Arslan macht das drittbeste Resultat der fünf Nationalrät*innen. Der gestrige Wahlsonntag war deshalb nicht nur ein Tag der Frauen* und des Klimas, es war auch ein Tag der Zivilgesellschaft.

Die Geschichte zeigt: Wenn Frauen* auf die Strasse gehen und Forderungen stellen, steigt ihr Anteil in politischen Gremien. Nicht nur bei linken, sondern auch bei bürgerlichen Frauen*. Ein Beispiel sind die Demonstrationen nach der Nichtwahl von Christiane Brunner 1993 in den Bundesrat. Tausende Frauen* protestierten vor dem Bundeshaus. Mit Erfolg: Eine Woche später wählte das Parlament Ruth Dreifuss zur zweiten Bundesrätin.

Im Jahr 2019 kam der Klimastreik obendrauf: Klima- und Frauen*bewegung potenzierten sich gegenseitig. Natürlich, auch die gescheiterte Listenverbindung der bürgerlichen Parteien mit der SVP und der Streit innerhalb SVP spielten eine Rolle, ebenso wie die Tatsache, dass Basel ein Stadtkanton und deshalb tendenziell links ist.

Aber es zeigte sich einmal mehr: Protest auf der Strasse kann die etablierte Politik aufrütteln. Und er kann das unabhängig von den traditionellen Medien.

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