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Wie eine Personenkontrolle aus Sicht der Polizei angemessen und korrekt verlaufen ist

Der an Leukämie erkrankte Musiker John Henry erhebt schwere Vorwürfe gegen vier Beamte der Kantonspolizei Basel-Stadt. Er sei gestossen, bedroht und verhöhnt worden. Die Kantonspolizei widerspricht.

09/24/19, 07:28 PM

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(Foto: zvg)

Am vergangenen Sonntag, gegen 09:15 Uhr, kommt es im St. Johann, Mühlhauserstrasse, Höhe Denner, zu eine Personenkontrolle. Der Kontrollierte, ein Musiker mit Künstlernamen John Henry, postet um 10:19 Uhr zwei Bilder auf seinem Facebook-Profil. Auf dem einen Foto zieht er eine Grimasse, die Nase ist blutverschmiert. Das andere Foto zeigt das gerötete, stark geschwollene Gelenk einer linken Hand.

«Polizei Het mich verwüscht ufem weg zum Becker selber schuld wenn me sich nit uswisse ka/ rechts meine gitarren hand.»

Am nächsten Tag, Montag, den 23. September, postet John Henry ein Video auf YouTube. 7:59 Minuten. Darin schildert er, wie er die Kontrolle erlebt hat und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Beamten. Er sei brutal behandelt, schikaniert, bedroht und verhöhnt worden.

Wir haben mit John Henry, der mit bürgerlichem Namen Gianluca Cutrufello heisst, gesprochen. Dann haben wir die Kantonspolizei Basel-Stadt mit dem von Cutrufello geschilderten Verlauf der Kontrolle im Detail konfrontiert.

Polizeisprecher Martin Schütz antwortet am Dienstagnachmittag auf den Fragenkatalog von Bajour wie folgt:

«In der Regel äussern wir uns aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes der kontrollierten Person nicht zu Einzelfällen. Da der Kontrollierte seine Sicht der Dinge aber in einem öffentlich zugänglichen Video schildert und dabei schwere Vorwürfe gegen die Kantonspolizei Basel-Stadt erhoben hat, nehmen wir gegenüber Medien etwas detaillierter als sonst Stellung.»

Martin Schütz, Sprecher Kantonspolizei Basel-Stadt

Hier ist die Version von Cutrufello. Und hier ist die Version der Kantonspolizei Polizei-Stadt. Cutrufello hat uns im Gespräch die Ereignisse im Detail nochmal erzählt, wie er sie bereits im Video schilderte. Die Stellungnahme der Polizei wird hier vollumfänglich publiziert. Wir können keine abschliessende Einschätzung des Vorfalls aufschreiben, wir waren nicht dabei und Zeugen fehlen. Dies ist das Protokoll einer Recherche.

Cutrufello: «Ich habe am Sonntag bei meiner Freundin übernachtet. Gegen neun Uhr bin ich aus dem Haus, wollte Brötchen holen beim Bäcker. Von hinten fährt eine Polizeistreife neben mich heran, zwei Beamte steigen aus und halten mich an. Ich hatte Kopfhörer in den Ohren. Sie sagten, Personenkontrolle, bitte ausweisen. Ich sagte, ich weiss, was sie denken wegen meinem äusserlichen Bild, sie denken dass ich aussehe wie ein Junky. Aber das hat nichts mit dem zu tun, ich leide an Leukämie und Osteoporose. Diese Krankheit macht einen Körper zerbrechlich, meine Knochen gehen schnell kaputt.

Sie sagten, neinein, das hat nichts mit ihrem Aussehen zu tun. Warum dann die Personenkontrolle, wollte ich wissen. Ich will einfach zum Bäcker da vorne, lassen Sie mich zum Bäcker. Ich hatte keine ID dabei, die Beamten nannten mir auch keinen Grund für die Kontrolle. Ich sagte, lassen Sie mich los. Da hat mich der eine Beamte gepackt und wiederholt, bleiben sie stehen, Personenkontrolle. Dann hat er mich schon auf den Boden geknallt. Er hat mir das Knie in den Rücken gestossen und dann bin ich mit dem Kopf auf den Boden aufgeschlagen.

Dann wurden mir Handschellen angelegt.

Bajour: Trifft es zu, dass der Mann nach der Anhaltung zu Boden gebracht wurde? Warum?

Was war der Grund dafür, Cutrufello anzuhalten?

Nach welchen Kriterien und welcher Einschätzungsgrundlage entscheidet die Polizei Basel Stadt, welche Personen auf der Strasse einer Personenkontrolle unterzogen werden?

Cutrufello sagt, er habe Kopfhörer angehabt und darum die Aufforderung, anzuhalten nicht gehört. Wurde ihm das als Kooperationsverweigerung ausgelegt?

Während der Kontrolle verletzte sich der Mann und begann zu bluten. Weshalb wurde keine medizinische Hilfe beigezogen?

Polizeisprecher Martin Schütz: Der ihnen nicht bekannte Mann fiel zwei Polizisten während einer Patrouillenfahrt auf, weil er auf sie einen hilflosen und gesundheitlich angeschlagenen Eindruck machte. Als er die Frage, ob er Hilfe brauche, verneinte, fragten ihn die Polizisten nach seinem Namen oder einem allenfalls mitgeführten Ausweis – dies, weil sie ausschliessen wollten, dass der Mann von einer Institution abgängig ist.

Der Mann beschied ihnen, dass er sich nicht ausweise, und wollte sich entfernen. Die Polizisten hielten ihn dann an seinen Armen zurück und eröffneten ihm, dass sie die Kontrolle erst beenden würden, wenn sie seine Personalien wüssten. Dies ist ein ganz normales polizeiliches Vorgehen, zumal Polizisten auch herausfinden müssen, weshalb sich eine Person nicht identifizieren lassen will.

Der Mann versuchte in der Folge, sich loszureissen und schlug dazu mit Armen und Beinen um sich. Verbale Versuche, ihn zu besänftigen, blieben erfolglos. Um sich zu schützen, führten ihn die Polizisten zu Boden; dabei (und bei späteren Abwehrhaltungen des Kontrollierten) dürften die Verletzungen entstanden sein.

Cutrufello: Ich wusste, dass ich dann wieder auf den Beinen stand, mit blutender Nase. Dann hat es bei mir einfach abgestellt.

Bajour: Der Kontrollierte erlitt Wunden an Kopf, im Gesicht, an Schultern und Händen. Trifft es zu, dass einer der Beamten auf dem Kontrollierten kniete, wie er es im Video schildert?

Entspricht das der üblichen Anwendungspraxis einer Personenkontrolle?

Wie sind die Verletzungen an Kopf, Schulter, Händen und im Gesicht zustande gekommen?

Der Kontrollierte wies hörbar darauf hin, er leide unter Osteoporose. Warum haben die Beamten nicht unverzüglich von der Gewaltanwendung abgelassen und damit weitere Verletzungen in Kauf genommen?

Sind die Polizisten sensibilisiert für Personen mit körperlichen Gebrechen, die für Aussenstehende nicht sofort erkennbar sind, aber bei Nichtbeachtung während Kontrollen zu erheblichen Verletzungen der kontrollierten Person führen können?

Polizeisprecher Martin Schütz: Wenn sich eine Person in einer Kontrolle weigert, ihren Namen zu nennen oder mitgeführte Ausweise zu zeigen, sowie weitere Abklärungen vor Ort nicht möglich oder zu langwierig sind, kann sie zur Identitätsklärung auf eine Polizeiwache gebracht werden. Dies geschieht übrigens nicht zuletzt, um die kontrollierte Person nicht unnötig lang im öffentlichen Raum fremden Blicken auszusetzen.

Cutrufello: Sie haben mir dann die Hände in Handschellen auf die leeren Gemüsekisten vor dem Denner gepresst, ich hab kurz versucht, mit freizuwinden, es tat weh, ich habe geblutet und war verwirrt. Was geht hier ab? Ich wiege 50 Kilo, die sehen doch, dass ich mich nicht wehren kann. Ich sagte, ich habe Osteoporose, ich bin krank, kam letzten Mittwoch aus dem Spital wegen einer Lungenentzündung.

Sie haben mein Portemonnaie untersucht, da war aber nur meine Bankkarte drin, keine ID. Dann kam Verstärkung. Sie haben meine Taschen durchsucht und die Concerta gesehen, das sind meine Medikamente zur Behandlung von ADHS. Der eine Beamte sagte, ach schau an, ADHS haben Sie auch noch.

Sie haben mich hochgehoben, zu viert, ich hab mich kurz an diesem Gitter festgehalten. Ich empfand die Haltung der Polizisten von Anfang an als unfreundlich, misslaunig, wertend. Der eine der beiden Beamten aus dem Team der Verstärkung, ein junger Typ, Ende zwanzig vielleicht, sagte zu mir: Steig ein oder ich geb dir 'ne Faust.

Bajour: Trifft es zu, dass einer der Beamten den Kontrollierten unter Androhung von Gewalt dazu bewegen wollte, das Polizeifahrzeug zu besteigen?

Polizeisprecher Martin Schütz: In diesem Fall weigerte sich der kontrollierte Mann, ins Polizeifahrzeug einzusteigen. Die beiden Polizisten mussten Verstärkung anfordern. Zu viert trugen ihn die Polizisten später zum Fahrzeug.

Bei der Wache angekommen, weigerte sich der Mann, das Gebäude zu betreten und kündigte auch an, nicht kooperieren zu wollen. Die Polizisten konnten die Personenkontrolle daher nicht wie üblich in einem Abklärungsraum durchführen, sondern entschieden sich für eine Arrestzelle, die mehr Platz bietet und weniger Risiken für Selbstverletzungen einer kontrollierten Person birgt.

Cutrufello: Ich weiss nicht mit Sicherheit, was während der Kontrolle auf der Strasse um uns herum ablief. Zwei Velofahrer fuhren vorbei. Es wäre sicher hilfreich gewesen, wenn das jemand beobachtet hätte. Natürlich wünscht man sich in dem Moment ein wenig Unterstützung, vor allem wenn dann vier Polizisten gegen einen stehen und dann noch so Psychospielchen laufen.

Aber von aussen ist sowas schwer zu beurteilen, ist mir schon klar. Ich meine, das ist die Polizei. Und ich sehe ungesund aus. Von dem her denkt man sich vielleicht, das wird schon seine Richtigkeit haben. Das merke ich auch sonst immer wieder, auf der Strasse, in der Tram. Da wird getuschelt. Wenn ich in einen Laden gehe, werde ich vom Ladendetektiv quasi begleitet, alle sind aufmerksam. Wenn ich in der Nähe bin, halten sie ihre Sachen fest.

Als der junge Polizist zu mir sagte, dass er mir ne ’ne Faust gibt, wenn ich nicht einsteige. Da haben die anderen drei Beamten nicht reagiert oder interveniert. Für die war das Routine, so kam mir das vor. Es gab während der gesamten Kontrolle keinen Moment, in dem so etwas wie eine Intervention untereinander stattgefunden hat. Nie sagte jemand: Komm, das reicht. Oder: hör auf.

Auf dem Posten wollten sie mir das Nasenbluten abwischen. Ich habe das abgelehnt. Ich finde es absurd wenn man erst jemanden blutig schlägt und dann verarzten will. Das hab ich später zuhause selber gemacht.

Auf dem Posten wurde ich in eine Zelle geführt. Sie haben mich auf das Bett gelegt, und auf den Bauch gedreht. Dann wurde mir die Hose heruntergezogen. Einer der Beamten, sie waren immer noch zu viert, sagte in belustigendem Tonfall: Der hat ja nicht mal eine Unterhose an. Ich mein, ich war auf dem Weg aus dem Bett zum Bäcker, da hat man vielleicht mal keine Unterhose an.

Einer der Beamten, der Junge, der hatte offenbar richtigen Einsatzwillen, hat mich in dieser Zelle als «Futzkopf» bezeichnet. So etwas habe ich nicht mal im Kindergarten zu jemandem gesagt, das wäre mir damals schon zu blöd gewesen.

Es gab einen Alkoholtest, aber meine Lungen sind blockiert durch eine Lungenentzündung von letzter Woche, das Gerät hat nicht angeschlagen. DNA wurde keine genommen. Meine Jacke wurde untersucht. Einer der Beamten fragte, warum ich denn so viel Zeug in den Taschen habe. Sie haben aber nichts gefunden. Sie haben offensichtlich nach etwas gesucht, sonst hätte ich die Hosen nicht ausziehen müssen. Sie haben dann aber keine rektale Untersuchung gemacht oder so, ich lag halt eine Weile da ohne Hosen.

Dann gingen sie raus, die Jacke nahmen sie mit. Diese Zelle ist ein kahles Zimmer. Es hat eine Dusche, ein WC, ein Radio mit drei Knöpfen.

Nach vielleicht 20 Minuten kamen sie wieder rein, jetzt nur noch zu zweit. Ich habe mich angezogen. Sie sagten, ich kriege noch Post. Ich habe einen schönen Sonntag gewünscht und bin gegangen. Gegen den Schluss hatte ich das Gefühl, dem einen Polizisten war es ein bisschen unangenehm.

Warum wurde der Kontrollierte auf dem Polizeiposten Kannenfeld auf ein Bett gelegt und fixiert?

Trifft es zu, dass einer der Beamten den Körper und das Aussehen des Kontrollierten während der Anhaltung mehrmals in abwertender Weise kommentiert hat?

Welche Richtlinien gelten innerhalb des Polizeikorps, betreffend Kommunikation mit Personen, die zu Personenkontrolle mit auf den Polizeiposten genommen werden? Gibt es da einen verbindlichen Verhaltenskodex?

Trifft es zu, dass einer der Beamten den Kontrollierten als «Futzkopf» bezeichnet hat? 

Wurde der Mann im Verlauf der Kontrolle medizinisch versorgt? Hat sich zu irgendeinem Zeitpunkt eine medizinische Fachperson um die Wunden gekümmert?

Polizeisprecher Martin Schütz: Als die Identität später geklärt werden konnte, boten die Polizisten dem Mann an, ihm bei der Erstversorgung der Wunden zu helfen oder ihm eine medizinische Betreuung zu organisieren. Dies lehnte er ab und verliess die Wache allein.

Cutrufello: Auf dem Heimweg bin ich zum Bäcker, blutverschmiert wie ich war, danach zurück zu meiner Freundin nach Hause. Das Ganze hat vielleicht anderthalb Stunden gedauert. Meine Freundin war natürlich erschrocken, am Küchentisch haben wir dieses Video aufgenommen. Dann gingen wir auf die Notfallstation. Fünf schwere Prellungen, davon zwei auf der Stirn. Mein Kiefer tut weh. Auf der Schulter habe ich einen Bluterguss.

Sie wollten mich demütigen. Das hat mich enttäuscht und wütend gemacht. Ich bin wütend darüber, dass so etwas passieren kann. Es gibt noch ganz andere Leute da draussen als mich, mit anderen Problemen. Denen passiert das auch.

Ich habe nach dem Vorfall noch auf der Wache angerufen, man hat mir einen der involvierten Beamten ans Telefon geholt. Er rief, Herr Cutrufello, jetzt halten sie doch mal das Telefon ans Ohr, ich höre sie nicht! Ich hab ihn sehr gut gehört, aber irgendwie tat er, als sei die Verbindung schlecht. Als ich ihn fragte, wie der andere Beamte hiess, der mir die Faust androhte, sagte er, das habe ich falsch verstanden. Das mit der Faust habe der Beamte ihm gesagt, seinem Kollegen. Eine Art Witz oder so. Ich glaube das nicht.

Die Namen der beiden Beamten, die als Verstärkung kamen, habe ich nicht erhalten. Der Polizist am Telefon sagte mir, er habe die nicht gekannt.

Ich werde Anzeige erstatten. Aber ich habe da keine Hoffnungen. Ich meine, das ist die Polizei, oder?

 

Wie ist ihre generelle Einschätzung zu diesem Vorfall?

Gibt es unrichtige oder unvollständige Informationen in den Schilderungen von Herrn Cutrufello?

Welche Organe existieren innerhalb des Polizeikorps, die solche Vorfälle untersuchen? Wie gehen diese Organe vor?

Wie wird sichergestellt, dass solche Vorfälle innerhalb des Polizeikorps unabhängig untersucht werden?

Sollten sich die Vorwürfe Cutrufellos als zutreffend herausstellen: Mit welchen Konsequenzen haben die verantwortlichen Beamten zu rechnen?

Polizeisprecher Martin Schütz: Aufgrund seiner Äusserungen während der ganzen Kontrolle war den Polizisten bewusst, dass der Mann an mehreren Krankheiten leidet und dass es ihm im Grunde nicht gut zu gehen scheint. Die Polizisten hatten den Mann während der Kontrolle wiederholt darum gebeten, seinen Namen zu nennen und die Kontrolle so abzukürzen.

Sie hatten zu keiner Zeit Interesse an einer Eskalation und es hat sich auch niemand über ihn oder seine Situation lustig gemacht.

Unsere Mitarbeiter waren besorgt, die durch die Abwehrhaltung und -bewegungen des Kontrollierten ausgelösten notwendigen polizeilichen Handlungen so umsichtig wie situativ möglich vorzunehmen – was angesichts der heftigen Gegenwehr und der Vulnerabilität des Kontrollierten eine grosse Herausforderung gewesen ist.

Aus Sicht der Kantonspolizei ist die Personenkontrolle angemessen gewesen und korrekt verlaufen.

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