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Was für ein berauschendes Date

7 Learnings aus dem Bajour-Drogen-Speed-Dating

10/23/19, 04:12 PM

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Konsumieren geht über sublimieren.

Konsumieren geht über sublimieren. (Foto: Eleni Kougionis)

Mit Substanzen ist es ein bisschen wie mit Parkplätzen: Die einen wollen mehr davon, die andern möchten sie am liebsten ausmerzen. Wenn Politiker*innen über Drogen reden, lautet die Frage der Fragen dann auch meistens: Lega-lega-legalización?

Dabei gibt es viel mehr zu bereden. Das merkten wir auf der Bajour-Redaktion vor etwa einem Monat, als wir Besuch von Bekannten hatten und irgendwie auf den Rausch zu sprechen kamen. Unsere Besucherin erzählte uns, durch ihren Freundeskreis verlaufe ein Graben. Die, die ab und zu konsumieren gegen die, die nüchtern bleiben.

Wir dachten: Diesen Graben möchten wir überwinden. Leute mit unterschiedlichen Drogenerfahrungen und Perspektiven zusammenbringen. So luden wir am Dienstag zu einem Speed Dating in die Markthalle.

Und es war berauschend.

Das Speed Dating lief wie ein Postenlauf ab. An 7 Tischen sassen 7 Drogenexpert*innen. Das Publikum teilte sich in 7 Gruppen ein und ging von Posten zu Posten.

Ich als Bajour-Redaktorin nahm auch daran teil. Und lernte eine Menge. Es war, wie wenn ich an ein Fest gehe und jemanden kennen lerne. Und diese Person erzählt mir Dinge aus ihrem Leben, die für mich so neu sind, dass ich noch mehr und noch mehr hören möchte. Am Speed Dating lernte ich gleich 7 solche Personen kennen. Die Erkenntnisse:

Bei einem schlechten LSD-Trip Fenster aufmachen und Trip aufhellen.

Bei einem schlechten LSD-Trip Fenster aufmachen und Trip aufhellen. (Foto: Eleni Kougionis)

1. Eltern müssen aus dem Suchtkreislauf ihrer Kinder ausbrechen

Als erstes setze ich mich mit meiner Gruppe an den Tisch von Rosmarie Zimmermann. Sie begrüsst uns mit den Worten: «Ich hatte zwei Söhne. Einer ist an Drogen gestorben.» Das war vor 20 Jahren. Rosmarie Zimmermann besucht bis heute die Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suchtkranken. «Ohne diese Gruppe wäre ich heute nicht hier», sagt Rosmarie Zimmermann. Sie habe auch eine Therapie ausprobiert. «Doch nichts half mir so sehr, wie mit Leuten zu reden, die dasselbe durchmachten wie ich.»

Bis hier haben die Besucher*innen vor allem zugehört, jetzt fragt eine junge Frau:

- «Welche Drogen nahm dein Sohn?»

- «Heroin und Kokain, vor allem. Am Anfang Alkohol.»

Als Mutter sei es wichtig, sich nicht in den Kreislauf der Sucht reinzuziehen. «Du zahlst die Miete, du kaufst das Essen. Aber du musst dein eigenes Leben haben.»

Wir hätten noch viele Fragen an Rosmarie Zimmermann, aber laute Musik ertönt: Das Zeichen, an den nächsten Posten zu gehen.

2. Vorurteile machen’s der LDS-Forschung schwer.

Friederike Holze forscht an der Universität Basel zu LSD. Es gibt Hinweise darauf, dass die Droge gegen Depressionen, Angst oder Kopfweh helfen könnte. Holze erzählt von ihrer Forschung, die Besucher*innen des Speed-Datings haben einen Haufen Fragen dazu. Doch was wir besprechen, bleibt in der Markthalle. Es gibt einen riesen Hype um LSD – auch um die wissenschaftliche Erforschung der Droge. Aber eben auch viele Ängste und moralische Vorbehalte, welche die Forschung erschweren. Das wollen wir hier nicht weiter anheizen und gehen darum im Text direkt weiter zum Tisch des Basler DJs Nik von Frankenberg.

3. Man kann auch über Musik in den Rausch kommen

Wenn Nik von Frankenberg auflegt, ist er meistens nüchtern. Und kommt trotzdem in einen Rausch. «Der Rhythmus der Musik, der Rausch der anderen Leute, das schwappt auf mich über», erzählt er. Nik macht seit 20 Jahren Musik, es war die Musik, die ihn anzog, die Musik, die ihn an Partys trieb, es noch heute tut. Die ersten Drogenerfahrungen machte er erst später. Bei anderen Leuten ist es umgekehrt, sagt Nik. «Sie können nichts mit Techno anfangen. Dann nehmen sie Drogen und plötzlich kommen sie rein in diese Musik.» «Heisst das, dass Drogen die Wahrnehmung der Musik verändern?» fragt ein Besucher nach. Nik antwortet: «Drogen öffnen den Horizont, im Rausch wird man offener für Musik, zu der man sonst keinen Zugang hätte.»

Doch häufig bleiben diejenigen, die über die Drogen zur Musik kommen, weg, wenn sie älter werden und ihre Lebensumstände sich ändern. «Die, die wegen der Musik an Partys gehen, kommen auch später noch», sagt Nik.

Bei diesem Posten löst sich die Stimmung innerhalb der Gruppe. Viele Besucher*innen stellen Fragen, reden auch miteinander. Etwa über Drogenzombies, die am Morgen von ihrem Trip runterkommen und dann nur noch auf der Tanzfläche lampen. Und von den verschiedenen Substanzen. MDMA macht tendenziell friedlich, Alkohol aggressiv. Es gebe Clubs, die keinen Alkohol mehr ausschenken, sagt Nik. Dann ertönt die Musik und wir gehen weiter. 

4. Reiner Stoff bedeutet nicht reines Gewissen: Geständnisse eines Ex-Dealers

An diesem Posten erwartet uns Bajour-Journalistin Mirjam Kohler mit einem Audiogerät. Mirjam hat für diesen Abend einen Dealer gesucht. Und gefunden, «wenn er auch nicht der grösste Fisch im Teich ist», wie Mirjam sagt. Jonas, der eigentlich nicht Jonas heisst, will aber an diesem Abend nicht persönlich vor Ort sein. Seine Dealer-Zeit ist zwar vorbei und er hat sie auch gebüsst, aber er will sie hier trotzdem nicht als erkennbare Person erzählen. Also hat Mirjam das Gespräch aufgenommen und lässt es jetzt laufen. Jonas erzählt auf Baseldeutsch, wie er selbst mit Kokain und Speed angefangen hat. Und unzufrieden war, weil der Stoff häufig gestreckt war. Er dachte: «Das lässt sich ändern.» Und fing an, selber zu dealen. «Mein Stoff war reiner, dafür ein bisschen teurer.» Bald habe er einen kleinen Kreis Stammkunden gehabt.

Aber dann artete es aus. Jonas hatte sein ganzes Geld selbst für Drogen ausgegeben, brauchte neues. Machte einen Einbruch. Und wurde erwischt. Seine Wohnung wurde durchsucht, er wurde verzeigt. «Das war für mich ein Schlüsselmoment», sagt Jonas. Er stieg aus. Hörte auf, zu konsumieren, brach mit seinem alten Bekanntenkreis. Heute, mehr als zehn Jahre später, ist er froh darüber. «Es ist gut, auf der Strasse nicht ständig über die Schulter schauen zu müssen, Angst zu haben, erwischt zu werden.

Was ist berauschender: Drogen oder Musik?

Was ist berauschender: Drogen oder Musik? (Foto: Eleni Kougionis)

5. Schweizer können keine Party ohne Alkohol

Halima begrüsst uns mit einer Relativierung. «Meistens bleibe ich nüchtern. Aber so einmal alle sechs Monate passiert es mir, dass sie doch einmal trinke, wenn ich eine schlechte Woche gehabt habe.»

Mittlerweile ist die Stimmung in der Speed-Dating-Gruppe so gelöst, dass es schnell geht, bis die Leute nachfragen. Ein Besucher zu Halima:

- «Trinkst du nicht einmal ein Glas Wein zum Essen?»

- «Nein, der Wein übertönt den Geschmack des Essens und meistens bleibt es dann auch nicht bei einem Glas. Da trinke ich lieber gar nichts.»

- «Aber warum denn?»

- «Es tut mir nicht gut. Wenn ich trinke, geht es mir drei Tage danach schlecht. Ich bin dann nicht richtig deprimiert, aber schon unglücklich.»

Halima glaubt, dass es vielen Leuten so geht. «Aber sie trinken so regelmässig, dass ihnen gar nicht auffällt, was der Alkohol mit ihnen macht.» Daraufhin entwickelt sich eine kleine Diskussion am Tisch über die «Partypsyche» der Schweiz. Die These: Die Schweizer*innen sind so kontrolliert, dass sie den Alkohol brauchen, um überhaupt auf andere Leute zugehen zu können, zu tanzen, Spass zu haben.

Und weil sie schon mit 16 Jahren bei jeder Veranstaltung sofort ein Glas in die Hände gedrückt bekommt, lernen sie auch nie, ohne Alkohol locker zu werden. Ob es Gegenargumente gegen diese These in der Gruppe gibt, kommt nicht raus. Die Musik ertönt, Zeit für ein Besuch am Tisch von Jill Zeugin.

6. Von Alkohol ist am ehesten abzuraten

Jill Zeugin ist Suchtberaterin im Auftrag der Drogeninfo Basel-Stadt. Leute können ihr im stationären Drug Checking im St.Johann ihre Drogen vorbeibringen, um sie untersuchen zu lassen. In den Beratungsgesprächen redet Zeugin mit ihren Klient*innen auch über deren Konsum. «Wenn ich merke, dass sie den Konsum im Griff haben, ist es gut. Wenn ich dagegen das Gefühl habe, dass die Person ein Problem hat, sage ich: In letzter Zeit war es vielleicht ein bisschen viel. Magst du darüber reden?»

Die Leute am Tisch haben Fragen. Zum Beispiel:

- «Was ist die meist konsumierte Droge?»

- «Kokain»

- «Gibt es Drogen, wo du den Leuten sagst, nimm es lieber nicht?»

- «Ich bin nicht abstinenzorientiert. Aber von Chrystal Meth rate ich ab. Und von Heroin auch. Am meisten würde ich aber von Alkohol abraten.»

- «Warum von Alkohol?»

- «Weil es die Droge ist, die am meisten gesellschaftlich akzeptiert und überall erhältlich ist. Bei keiner Droge ist es so einfach, abhängig zu werden, ohne dass es jemand merkt.»

Und schon ist die Zeit wieder um.

7. Himmel oder Hölle mit LSD

Am letzten Tisch sitzt wieder ein Bajour-Redaktor. Dieses Mal Samuel Hufschmid. Er hat einen Bildschirm aufgebaut und ein Video des LSD-Entdeckers Albert Hofmann parat. Das kam so: Vor einer Woche organisierte Bajour eine Velotour auf den Spuren Alberts Hofmanns. Dabei kamen die Fahrradfahrer*innen auch am ehemaligen Haus des Wissenschaftlers vorbei. Hufschmid kennt die Menschen, die heute darin wohnen. Einer davon hatte als Gymnasiast Albert Hofmann einmal für eine Schularbeit interviewt. Das Video ist privat, deshalb können wir es nicht im Internet veröffentlichen.

Man sieht darauf einen über 90-jährigen Hofmann im Anzug auf einem Sofa sitzen. Er erzählt, wie das ist mit dem LSD: «Himmel und Hölle, beides ist im menschlichen Unterbewussten zu finden. LSD konfrontiert einen mit diesem Unterbewussten, aber man weiss nicht, ob es schrecklich oder wunderschön sein wird. Wenn man diese Erfahrung mit dem Unterbewussten in seine Persönlichkeit integrieren kann, ist es gut. Wenn man das nicht schafft, kann es Psychosen auslösen.» Einer Zuschauerin entfährt: «Wow, ist das interessant.»

Nach dem Speed-Dating sitzen die Leute an Tischen, trinken etwas und reden weiter. Ich hole Feedbacks ein. Das waren die Rückmeldungen:

+ das Format Speed Dating gibt einem die Möglichkeit, verschiedene Expert*innen zu hören und selber Fragen zu stellen

+ die Bandbreite der Expert*innen war gross – auf der einen Seite hat man eine Mutter eines Suchtkranken, auf der anderen Seite den Dealer. Das fördert die Toleranz für unterschiedliche Perspektiven

- 7 Minuten sind zu kurz, um in die Tiefe zu gehen, 10 Minuten wären besser gewesen

- da alle Posten im Wohnzimmer der Markthalle, stattfanden, war es sehr laut und man hatte Mühe, sich gegenseitig zu verstehen

Wir von der Bajour-Redaktion waren hin und weg von dem Abend, von den Begegnungen und Gesprächen. Herzlichen Dank für's Kommen.

Übrigens: Unser nächster Anlass findet am 27. November im Wohnzimmer der Markthalle statt. Mehr Infos dazu folgen. So viel im Voraus: Es könnten Parkplätze darin vorkommen.

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