Brutschin never walks alone

Der Basler Regierungsrat Christoph Brutschin schwärmt für den englischen Fussball. Seit 1976 (!) reist er jede Ostern mit ein paar Lads nach England. Eine Liebeserklärung.

Besuch des Stadions «Craven Cottage» in Fulham
Besuch des Stadions «Craven Cottage» in Fulham.

Angefangen hat es im Oktober 1976. Erster Ausflug auf die britischen Inseln. Mit dem Nachtzug, gut 12 Stunden, am frühen Morgen auf der Fähre nach Dover eine Tasse Tee - Tee, wie er nur in England schmecken kann. «Ist das Wasser» sagen die Briten und schmunzeln.

Dann London, eines dieser Billighotels in Bayswater, später quer durch die Stadt Richtung «The Valley», der Heimat von Charlton Athletic. Das Stadion sah aus wie das alte Joggeli, einfach etwa halb so gross. Das Wetter war sonnig, gut 10‘000 Leute, prächtige Stimmung. Das andere Getränk, das ich in England so mag (am besten: «London Pride», «Bomber» oder «Brakspear») durfte damals noch mit auf die Stehrampe.

Und dann ging es los: Der Gegner Hull City hatte Billy Bremner in seinen Reihen, der dort seine Karriere ausklingen liess. Verlernt hatte er allerdings nichts, seit er Don Revies Klopfertruppe aus Leeds verlassen hatte. Es grenzte zeitweise an Körperverletzung. Gelbe Karte deswegen? Fehlanzeige. Genauso wie Reklamieren, das gab es nicht. Aber auch Charlton hatte einiges zu bieten: Das kongeniale Sturm-Duo Mike Flanagan und Derek Hales war allein das Eintrittsgeld Wert.

Mike Flanagan und Derek Hales
Mike Flanagan und Derek Hales.

Flanagan pflegte seine Flanken häufig mit dem Vollspann zur Mitte zu bringen und Hales versuchte abzulenken. Er machte drei Tore allein an diesem Nachmittag, in der ganzen Saison waren es dann 28. Und ja, ab da war ich verloren - es gab nur eines: more of this!

1978 wurde dann die traditionelle Osterreise ins Leben gerufen, die seither nur zweimal nicht stattfand. Einmal wegen Covid-19 und einmal wegen einer gesundheitlichen Nickelei. Seither sind es rund 70 Spielorte, die ich, meistens in Begleitung der «rollin‘ boys», der traditionellen Oster-Combo, gesehen habe.

Was wir alles erlebt haben, würde ein halbes Buch füllen. Stattdessen schildere ich ein paar ausgewählte spezielle Ereignisse: Zuerst der Police Officer, der in Barnsley unseren Bus inspizierte und seinem Unverständnis, dass wir wegen eines Spiels des Barnsley FC Ostern sausen lassen, mit der Frage «Did you really make all this way up from Switzerland just to see Baaarnsley?» Ausdruck verlieh.

Weiter dann an Ostern 2009 das Spiel Scunthorpe gegen Huddersfield in der League One. Es war «all ticket», das heisst, der Billett-Verkauf wurde behördenseitig gestoppt, um das Verhältnis von Polizeiaufgebot zu Zuschauern im Lot zu behalten. Also rief ich im Ticket-Office an und fragte, wie wir da doch noch reinkommen könnten. Die Antwort war, dass noch ein «Matchball-Sponsor» für dieses Spiele fehlte. Auf meinen Hinweis, dass ich nicht Millionär sei, kam zurück, dass das £ 150 plus die normalen Ticket-Kosten ausmache. Gesagt, getan. Wir sassen so in der «Directors Box», wurden im wunderschönen Matchprogramm namentlich erwähnt und ich durfte am Spielende runter aufs Grün, um Sam Togwell, dem «man of the match», eine Flasche Bubbly zu überreichen.

Besuch des ältesten englischen Pubs in Nottingham
Besuch des ältesten englischen Pubs in Nottingham.

Oder 1984 beim Derby Notts County gegen Nottingham Forest, wo wir etwas Verspätung hatten, ein verständnisvoller Steward das Eingangstor aber nochmals öffnete. Er liess uns hinter dem Goal zu unseren Plätzen auf der Gegentribüne laufen, weil auf der Stehrampe kein Durchkommen gewesen wäre. So waren wir plötzlich drei, vielleicht vier Meter von Peter Shilton – ja, der Peter Shilton – entfernt und riefen dreist: «Hi, Peter» – und er keck zurück: «Hi lads, you’re a bit late today, aren’t you?» – eine Szene fürs Leben!

Wunderbar, haben wir auch noch ein paar der speziellen Typen gesehen, die die englischen Ligen bereicherten. Stany Bowles bei den Queens Park Rangers, eine Taschenausgabe von George Best, oder John Hartson, walisischer Mittelstürmer mit einem feinen Hang zur Exzentrik, aber auch einer stupenden Technik kombiniert mit einem Hammer-Antritt – zu Zeiten, als in England vor allem in den unteren Profiligen häufig das Motto «Hoch und weit gibt Sicherheit» den Takt vorgab, eher eine Seltenheit.

Fussmarsch zum Stadion von West Bromwich Albion
Fussmarsch zum Stadion von West Bromwich Albion

Unvergessen auch Lee «King» Trundle – vor allem sein Spiel an Ostern 2004 gegen Macclesfield. Spitzenkampf in der vierten Liga, gut 8’000 Zuschauer im alten Stadion von Swansea, das so passend zum rustikalen Geschehen auf dem Rasen vom lokalen Regionalgefängnis eingefasst war. Etwas vom Besten, das ich miterleben durfte! Und dann eben Lee Trundle. Sein Aktionsaktionsradius erinnerte manchmal an Buffy Ettmayers Spätwerk unter Luganos Palmen. Wie er die Bälle aus dem Fussgelenk über dreissig, vierzig Meter auf die Füsse oder in den Lauf der Mitspieler zog, war grossartig.

Ich könnte weitermachen mit den zahlreichen Besuchen an der Plough Lane in Wimbledon, die Crazy Gang, Dennis «Razorblade» Wise, Justin Fashanu oder der Tribünenplatz gleich neben der Legende Lou Macari, der sich mit uns in aller Ausführlichkeit über einige seiner fast 350 Spiele für Manchester United unterhielt.

Aber ich höre hier auf, um noch ein wenig Platz zu haben für das, was immer bleiben wird. Die Erinnerung an eine Gruppe von fünf, sechs Leuten, die nun seit 40 Jahren immer wieder den englischen Stadien hinterher eilt, gemeinsam älter wird, sich zusammen über die Geburt der Kinder freute, sich mit Armen umfasst, wenn man mit dem Zug in Liverpool Lime Street ankommt, auf die Plattform tritt und eine Aussicht über Liverpool vor sich hat, die einem den Atem raubt.

Das rotblaue Kartonschild von Crystal Palace (South London and Proud) steht in Christoph Brutschins Büro.
Das rotblaue Kartonschild von Crystal Palace steht in Christoph Brutschins Büro.

Nun bin ich also beruflich in der Schlussrunde und hoffe, dass sie bald wieder Zuschauer zulassen in England. Wenn das soweit ist, will ich zuerst nach Blackpool und von dort aus eine Stunde mit dem Tram dem Meer entlang nach Fleetwood – ein Ausflug auch für Nichtfussballfans – zu «unserem» Jayson Leutwiler, der sich bei der «Cod Army» ja wieder das Trikot mit der Nummer 1 erobert hat. 

Und dann nach Dundee. Wegen des von Kengo Kuma entworfenen Victoria and Albert Museums natürlich, aber auch, logo, wegen Dundee United. Dort legt Benjamin Siegrist, 2009 U-17-Weltmeister für die Schweiz, in der schottischen Premiership gerade einen Klasse-Match nach dem andern hin.

So cheer up, lasses and lads – and stay safe!

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Zum Autor:

Christoph Brutschin (1958) studierte Volkswirtschaft und war lange Jahre Lehrer und Rektor der Handelsschule KV Basel. Seit 2009 ist der Sozialdemokrat Regierungsrat und Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Soziales und Umwelt. Die jeweils neuste Ausgabe des Fussballmagazins «When Saturday Comes» hat auf seinem Nachttisch einen festen Platz.

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