Basler Ballet-Crew tanzt sich vom Wohnzimmer direkt in die Herzen

Auf der Bühne erzählt das Ballett Basel Emotionen und Geschichten mit Tanz. Nun melden sich die Ensemble-Mitglieder per Homevideo zu Wort – mit einem berührenden kleinen Meisterwerk.

Normale Arbeitstage beginnen für Rubén Darío Bañol Herrera um 8.30 Uhr im Fitnessstudio. Um 10 Uhr trifft er die anderen Arbeitskolleg*innen im Tanzsaal des Theater Basel. Dort trainieren sie bis um 17 Uhr, zu zweit oder in der Gruppe, mit viel Körperkontakt und vollem Einsatz. 

Rund zwei Mal die Woche zeigt das Ballett abends seine Kunst im Scheinwerferlicht vor vollen Rängen. Danach gehen alle gemeinsam essen – oder alleine und ausgepumpt nach Hause.

Photo by Yaiza Davila
Rubén Darío Bañol Herrera ist ein Video geglückt, das nicht nur Tanzbegeisterte berührt (Foto Yaiza Davila) (Quelle: Yaiza Davila)

Dort sitzen die Tänzer*innen nun fest, getrennt. Diejenigen, die in St. Louis wohnen, stehen gar unter Ausgangsperre. «Was machen meine Kolleg*innen nun?», fragte sich Bañol nach einer Woche daheim. Das Ensemble ist ein eingeschworener Haufen internationaler Tänzer*innen. Viele stammen aus Spanien und Italien, wo das Corona-Virus heftig wütet. «Ich wusste, dass ein paar ziemlich besorgt oder traurig sind und wollte sie mit dem gemeinsamen Videoprojekt unterstützen.» 

Und weil der 34-Jährige Kolumbianer genauso leidenschaftlich Videos schneidet wie er tanzt, bat er die 30 Ensemble-Tänzer*innen um Clips aus der Isolation.

Suchst du den Salto im News-Reigen?
Unterstütze unabhängigen Journalismus in Basel
IMG_20200406_134637
Bañol schneidet auch für das Ballett Basel Videos, die sich nicht nur mit schönen Schrittfolgen befassen.

Es sollte jedoch nicht nur ein munteres Potpourri witziger Wohnzimmertänze werden, wie man sie im Netz nun von vielen Tanz-Companies zu sehen bekommt. Bañol wollte wissen: «Wie fühlt ihr euch? Was sind eure Ängste und Hoffnungen? Mich interessiert das Zwischenmenschliche. Ob reich, arm, schwarz oder weiss, Banker oder Tänzer: In der jetzigen Krise leiden alle an ähnlichen Problemen.»

Die Sehnsucht nach Normalität

Tatsächlich zeigt das, was Bañol Herrera aus über 400 kurzen Videoschnipseln zusammengeschnitten hat, weit mehr als eine Momentaufnahme von tanzenden Profis ohne Bühne. 

Die Choreographie von «We are alive» ist ein Abbild des Alltags in der Krise. Da ist das Sinnieren eines Tänzers über Sartre und Salat-Setzlinge. Der Film zeigt, wie man sinnvoll Zeit totschlagen könnte – und warum selbst lang gefasste Vorsätze in der beklemmenden Lethargie der eigenen vier Wände ersticken. Da ist der Wunsch nach mehr Menschlichkeit und Nähe, während das von höchster Stelle verordnete Physical Distancing Familien und Freunde trennt. 

Da ist die Sehnsucht nach Normalität – und danach, einfach wieder arbeiten zu können.

Ballet Basel 1
Nix mit Eleganz: Beim Händewaschen sind wir alle gleich – in der Krise sowieso. (Quelle: zvg)

Klar, kein Normalbürger macht beim Staubsaugen, stehend und wie nebenbei, den Schwanen-Spagat. Sonst, und das zeigt der Film sehr schön, sind die auf der Bühne so entrückt wirkenden Tänzer*innen uns «Normalos» gar nicht so unähnlich. So weiss man zum Beispiel nun: Auch die sonst so elegant aussehenden Tänzer*innen schnarchen im Bett!

Wie schnell Blödsinn und Tiefsinniges in der Wohnung zusammenkommen – das Gefühl kennen wir derzeit alle. 

Credit Rita Bugová
Die Crew machen das Kalb zur letzten Aufführung von «Cow»: Bañol hofft, das Ensemble bald wieder im Tanzsaal zu treffen. (Foto: Rita Bugová) (Quelle: Rita Bugová)

Die Sorgen und Hoffnungen in «We are alive» sind uns vertraut. Nur hat das noch niemand so schön eingefangen und umgesetzt wie Bañol. Der leitet die Lorbeeren lieber an seine Arbeitskolleg*innen weiter: «Ich bin so stolz und froh, mit Menschen zusammenarbeiten zu dürfen, die so spontan mitgemacht und ihre wunderbaren Gedanken so ehrlich geteilt haben.»

Denn im Gegensatz zur extrovertierten Bühnenpräsenz seien die meisten im Tänzer*innen eher introvertierte Persönlichkeiten. «Darum bleiben wir wohl auch meist unter uns», erklärt Bañol. Darum habe er nur drei Freund*innen aus Basel, obwohl er schon sechs Jahre hier lebe. «Aber nach acht Stunden tanzen mag ich abends nicht mehr in die Disco», schiebt er am Telefon lachend nach.

Liebe #gärngschee - Community: Kann jemand Untertitel machen?

Einer seiner Corona-Vorsätze lautet nun, mehr Menschen von hier kennenzulernen. Zum Beispiel, eine Person, welche für «We are alive» deutsche Untertitel schreiben kann. Die Kurzdoku ist auf Englisch, der gemeinsamen Ensemble-Sprache. «Für die Verwandten in Italien und Spanien schreiben wir die Untertitel selbst. Nur Deutsch kann von uns leider niemand gut genug.»

Der Film spricht uns auch so direkt aus dem Herzen.

__________

Du willst über alles weitere, das rund um Gärngscheekultur passiert, und die übrigen News der Stadt im Bild bleiben? Hier gehts zu unserer täglichen Dosis Übersicht: dem BaselBriefing.

Und falls du gerne auch in Zukunft alles zu Kultur über den Tanz hinaus lesen willst , brauchen wir dich! Werde hier Mitglied für 40 Franken im Jahr, wir und die freie Medienszene danken es dir!


Eine Schulklasse tanzt sich frei

Basel Briefing

Das wichtigste für den Tag
Jetzt Abonnieren
Jetzt Member Werden

Das könnte dich auch interessieren

Sommercasino

Jan Soder am 16. Mai 2024

Neue Heimat für die Jugendkultur

Durch die Schliessung des Sommercasinos entsteht ein Loch in der Basler Jugendkultur. JGB-Grossrat Laurin Hoppler will vom Regierungsrat wissen, wie diese gestopft wird. Der Heimat-Club bietet sich selbst als Lückenfüller an.

Weiterlesen
Tanzprojekt

Alfred Schlienger am 16. Mai 2024

In der Vielfalt die eigene Stimme finden

Junge Geflüchtete aus zehn Nationen proben in einem Tanzprojekt den Schritt zum Gegenüber, zur Welt – und zu sich selbst.

Weiterlesen
Nomuel BajourBeat Tanz Gif

Jan Soder am 13. Mai 2024

Nomuel – Live in der Gannet

Die Indie-Pop-Band feiert am Freitag und Samstag ihr Basel-Comeback mit zwei Shows in der Gannet. Im Interview erklären sie, wieso sie zwei Jahre nicht mehr in Basel aufgetreten sind und verraten, wann es neue Musik gibt.

Weiterlesen
Frida Teaser bild

Mathias Balzer, FRIDA am 12. Mai 2024

«Es braucht Hartnäckigkeit»

Sie arbeiten seit 27 Jahren zusammen – und sind noch lange nicht fertig. Unbeirrbar reihen sie eine Performance-Produktion an die andere. Zu Besuch bei Clarissa Herbst, Dominique Rust und Michael Wolf.

Weiterlesen

Kommentare