«Wir haben den Kopf bisher ja auch nicht in den Sand gesteckt»

Kulturbetriebe sind oft Brennpunkt geopolitischer Konflikte – aktuelles Beispiel ist die Debatte um den designierten Chef der Basler Kunsthalle, Mohamed Almusibli. Nun muss sich der Basler Regierungsrat mit einer schriftlichen Anfrage über kulturelle Auseinandersetzungen befassen.

Oper von Richard Strauss, Inszenierung von Herbert Fritsch
Ein aktueller Vorstoss richtet den Blick auf die Kulturbranche.

Die Basler Kunsthalle stand in den letzten Wochen aufgrund ihres neuen Direktors Mohamed Almusibli und zwei umstrittenen offenen Briefen ebenso in der Kritik wie die Fakultät Urban Studies der Uni Basel. Und am Montag nun hat es auch das Zürcher Theater am Neumarkt in die Schlagzeilen geschafft, weil ein israelischer Schauspieler den Verantwortlichen vorwirft, er werde nur bei der Hälfte aller Stücke eingesetzt. Beispiele wie diese zeigen: Institutionen aus Kultur und Bildung stehen immer wieder im Mittelpunkt geopolitischer und kultureller Konflikte. Künstler*innen sorgen sich um ihre Meinungsfreiheit. Ist das Phänomen neu?

johannes sieber
Johannes Sieber hat eine schriftliche Anfrage an den Regierungsrat gestellt.

Nein, findet GLP-Grossrat Johannes Sieber, aber er hat eine Zunahme beobachtet. Er möchte der Sache deshalb auf den Grund gehen und hat am Montag eine schriftliche Anfrage an den Basler Regierungsrat gestellt. Im Gespräch mit Bajour sagt Sieber, er beobachte zunehmend Diskussionen über geopolitische Konflikte im Basler Kulturleben: «Die Angriffe von allen Seiten nehmen zu. Ich meine das völlig wertfrei, merke aber, dass der Kulturbetrieb immer mehr zum Brennpunkt politischer Auseinandersetzungen wird.» Es könne jede*n treffen, egal, ob es sich um ein staatliches Museum handele oder um einen privaten Kulturverein. 

Sieber fragt sich, wie die Institutionen künftig damit umgehen sollen - und ob die Politik Hilfestellung leisten kann. «Gerade kleinere Betriebe, die ehrenamtlich geführt werden, haben oft gar nicht die Kapazitäten, auf einen Shitstorm zu reagieren.» Die Frage ist doch: «Sind genügend Ressourcen und Know-how vorhanden, um adäquat auf Vorwürfe in der Presse oder auf Social Media zu reagieren?»

Eine Lösungsidee hat Sieber auch nicht parat, er möchte aber einen Fokus auf dieses Thema legen, das gerade in der letzten Zeit immer wieder für Konflikte sorgt. Die Politik müsse anerkennen, sagt er, dass Kulturbetriebe aufgrund der teils aufgeheizten politischen Stimmung vor zusätzlichen Herausforderungen stünden. Gespräche mit Exponent*innen aus der Basler Kulturbranche werfen allerdings die Frage auf, ob der Vorstoss wirklich ein Bedürfnis trifft. Die Verantwortlichen sehen es nicht erst seit Kurzem als ihre Aufgabe, geopolitische Debatten zu lancieren und zu führen. 

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Für Katrin Eckert ist die «Erregungskultur» ein Thema.

Für Katrin Eckert, Geschäftsführerin des Vereins Literatur Basel, ist die «Erregungskultur» ein Thema. «Wir überlegen uns immer, wie wir uns positionieren und ob wir uns äussern sollen», sagt sie. Angesichts des vielerorts aufbrechenden Antisemitismus in den letzten Wochen hat der Verein ein Statement vorbereitet, das er aus der Schublade hätte ziehen können, wenn es einen Eklat an einer der Veranstaltungen gegeben hätte. Dazu sei es zum Glück nicht gekommen. Eckert sagt: «Wir waren allerdings schon immer achtsam. Aber in Zeiten von Social Media müssen wir jederzeit mit Angriffen rechnen, das ist eine grosse Herausforderung.» Das Literaturhaus hat bereits einmal wegen einer Podiumsbesetzung einen «Mini-Shitstorm» erlebt, der das Team viel Zeit und Nerven gekostet habe. 

Jurriaan Cooiman
Jurriaan Cooiman hat sich seit jeder über Kritik Gedanken gemacht.

Jurriaan Cooiman, Direktor von Culturescapes, wundert sich hingegen etwas, dass das Thema jetzt plötzlich vor den Regierungsrat kommt. «Wir haben den Kopf bisher ja auch nicht in den Sand gesteckt. Die Kultur spiegelt immer die Zeit wider, in der wir leben.» Er habe seit jeher geopolitische Krisen im Blick gehabt und sich über Kritik Gedanken gemacht. Auch während der Flüchtlingskrise in Griechenland oder zu Beginn des Ukraine-Kriegs habe die Kulturbranche oft im Fokus gestanden. Damals stand die Forderung im Raum, russischen Künstler*innen keine Bühne mehr in der Schweiz zu geben. «Es stimmt schon, die Debatten werden krasser, aber die Kultur ist ja genau der Ort, an dem auf weltpolitische Themen aufmerksam gemacht werden kann und wo diese diskutiert werden können.»

Wenn es im Vorstoss von Johannes Sieber darum gehen soll, dass die Politik den Kulturschaffenden den Rücken stärkt, findet Cooiman das eher bedenklich: «Das Recht auf freie Meinungsäusserung sollte doch selbstverständlich sein.» Johannes Sieber sagt, er fordere mit der schriftlichen Anfrage noch nichts, sondern erkundige sich nach der Position der Regierung: «Ich bin aber klar der Meinung, dass Handlungsbedarf besteht.»

Naomi Lubrich
Naomi Lubrich sieht es als Aufgabe der Kulturinstitutionen, auch politische Debatten zu führen.

Naomi Lubrich, Direktorin vom Jüdischen Museum der Schweiz, ist ähnlicher Meinung wie Cooiman. Sie sieht es als Aufgabe der Kulturinstitutionen, auch politische Debatten zu führen: «Die Museen, Literaturhäuser und Theater bieten dafür den idealen Raum. Jeder Beitrag, der kenntnisreich ist und um Verständnis bemüht, bereichere die öffentliche Diskussion, sagt sie. «Bei geopolitischen Konflikten sind wir besonders darauf angewiesen, unser Wissen zu vertiefen und verschiedene Erfahrungen nachzuvollziehen.» Und sie gibt ein Beispiel: «Wer sich im Jüdischen Museum der Schweiz über die Kongresse der Zionisten informiert, die ab 1897 auch in Basel stattfanden, kann die Vorgeschichte des Staates Israel verstehen und den gegenwärtigen Nahostkonflikt im historischen Zusammenhang sehen.» Kulturbetriebe können als Orte der Reflexion und der Debatte also gerade in Zeiten wie diesen als Gegenpol zu den oft polarisierenden Diskussionen auf Social Media wirken. 

Peter Schmid
Peter Schmid findet, dass jede Kultureinrichtung mit Herausforderungen wie offener Kritik umgehen muss.

Der Präsident der Trägerschaft des Gare du Nord, Peter Schmid, sagt zum Vorstoss von Johannes Sieber: «Ich persönlich sehe aktuell keine flächendeckende Notlage im Kulturbereich.» Er findet, dass eine Kultureinrichtung mit Herausforderungen wie offener Kritik umgehen muss. «Im Einzelfall kann es sein, dass man Rat oder Hilfe einholen muss.» Grundsätzlich aber muss sich jede*r Kulturbetrieb mit der geopolitischen Situation auseinandersetzen.

Im Vorstoss wird die Frage an den Regierungsrat gerichtet, ob dieser die Ansicht teilt, «dass der Kulturbetrieb eine besondere Rolle übernehmen kann und soll, diesen Auseinandersetzungen zu begegnen». Es scheint, als hätten viele der Kulturinstitutionen diese Rolle schon lange und aus eigenem Antrieb inne.

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