Lasst uns über die wilde Fasnacht reden

Sie ist gänzlich unberechenbar, sie taucht manchmal schon (oder noch) am frühen Morgen auf, intensiviert sich – spürbar – am späten Nachmittag. Die Rede ist von der wilden Fasnacht. Ein Loblied.

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Permanent läuft sie, jene Fasnacht, die neben dem Cortège, neben den Gugge-Konzerten lebt und webt: 24/3. Sie bespielt quasi den Rand, während die organisierten Grossanlässe prachtvoll, magnetisch durch die breiten Strassen ziehen – sowie vorher und nachher.

Sie ist gänzlich unberechenbar, sie taucht manchmal schon (oder noch) am frühen Morgen auf, intensiviert sich – spürbar – am späten Nachmittag. Und die Nacht, ja die Nacht ist ihr eigentliches Zuhause. 

Unterholz der Basler Fasnacht

Ich rede von der wilden Fasnacht, jener der Schyssdräggziigli, der Ainzelmasgge, der kleinen Gruppen in Larven und Kostümen, die vielleicht nur stumm herumstehen oder die Leute auf der Strasse anquatschen, dabei kommt es sogar zu jenen selten gewordenen Fällen des echten Intrigierens, der wilden Jazz-Gugge, die in eigenwilligen Goschdym Jimi Hendrix, Miles Davis oder James Brown schränzen.

Ryslaifer quer
Ryslaifer

Während der Basler Fasnacht 2024 begleiten uns die Kolumnen vom Ryslaifer. Jeden Tag gibt der Ryslaifer uns Einblick in die Fasnachtsseele.

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Dieser scheinbar unorganisierte Wildwuchs ist quasi das Unterholz der Basler Fasnacht, das Labor auch, von einigen Leuten kopfschüttelnd belächelt, von hartgesottenen Traditionsbewahrenden (welche Tradition?) gehörig verachtet, von jenen Menschen, die ein Herz und eine Nase für Überraschungen haben gefeiert, in den Gassen und Gässlein, im Bauch der tiefsten Nacht, auf dem Andreesemäärt, am Gäms- und Heubärg, bei der Martinskirche, am Rheinbord unten … überall.

Vorbereitung – oder halt nicht

Natürlich brauchen diese wilden Angelegenheiten oft genauso viel Willen zur Vorbereitung, genauso viel Kopfarbeit, genauso viel Liebe und Pflege wie die grosse Fasnacht. Natürlich gibt es gerade hier auch die spontane Variante, Leute, die pfeifen oder trommeln können, erfahrene Vordraabs-Figuren sind, ein oder zwei gepflegte Kostüme daheim haben, gehen spontan zusammen raus.

Vor der Fasnacht haben sie vielleicht noch gar nicht gewusst, dass sie es wieder tun werden, tun müssen. Vielleicht begegnen sie dir am Fasnachtsmittwochmorgen, um 9 Uhr, auf der Lyss – und bescheren Dir einen unerwarteten Gluggsi …

Alle Generationen

Wenn du an einem der Cortège-Tage am frühen Nachmittag in die Stadt läufst, siehst Du sofort, dass der Rand der Fasnacht von Fasnacht erfüllt ist, welche alle Generationen umfasst, die – sagen wir mal – fasnachtsfähig sind. Da warten vor der Spitalapotheke zwei Waggis im Teenageralter mit einem räppligefüllten Laiterwäägeli auf Stopfoper.

«An diesem Sandwich-Fasnachtstag verwandelt sich die ganze Cliquenszene in wilde Fasnacht.»

Dann läuft Dir am Noodlebärg ein recht stattlicher Zug entgegen, in gepflegten aber fast antiken traditionellen Kostümen, die gewiss gute 40, 50 Jahre auf dem Buckel haben, ganz klar hochbetagte Leute. Sie spielen gerade dr Barogg, so langsam, gemächlich und freundlich wie sie laufen, grossartig, dass sie noch dabei sind. Chapeau. Dann schiessen plötzlich sechs Pfyffer in einer Art Weltraummontur aus einer glatten Betonwand raus, im Eilschritt, sie pfeifen auf höchstem Niveau, Tonkaskaden, vom Marschschritt befreit, mindestens Beery-Batschelet-Material, vielleicht noch neuer… 

Als nächstes begegnet uns eines der permanenten Familien-mit-Kindern-Ziigli, die oft originelle Goschdym tragen und an allen drei Tagen marschieren, abends bis d Goofe duure sin. Und auf dem Bänggli vor dem Basler Spukhaus Spiesshof sitzen jene beiden Gestalten, die hier an jeder Fasnacht Hof halten, niemand weiss warum. 

Am Sandwich-Fasnachtstag

Dr Spaalebärg ist so etwas wie eine Paraderoute dieser wilden Fasnacht, durab und duruf, duruf und durab. Und in der Nacht wird der Andresemärt zur Bühne dieses Treibens, da gibt vielleicht jene wahnsinnige Frank-Zappa-Gugge plötzlich ein Platzkonzert – oder es taucht eine Salsa-Samba-Gruppe auf – oder eine Dixieland Band alter Schule, die meisten der Akteur*innen sind vollmaskiert, wie es sich in Basel gehört. Die allermeisten Schyssdräggziigli-und Cliquenleute, die hier gerne einen Halt einlegen, sich einen Moment vom Drummlen und Pfyffen und Marschieren erholen, geniessen diese Darbietungen in vollen Zügen ... 

Warum schreibe ich dieses Hohelied auf die wilde Fasnacht am Zyschtig? Weil sich an diesem Sandwich-Fasnachtstag die ganze Cliquenszene in wilde Fasnacht verwandelt, während d Gugge paradieren und konzertieren, weil heute der Tag der rasenden Trommelgruppen, der verrückten Ideen, der gänzlich unerwarteten Manifestationen ist. Excelsior.

P.S.

P.S. Ich bin mir sicher, dass in dieser Stadt, auch wenn sie eines Tages in ein so genanntes post-apokalyptisches Szenario abrutschen würde, vielleicht so zwischen Mad Max, Blade Runner und Walking Dead angesiedelt, irgendwo noch ein kleines Ziigli zwischen den Trümmern laufen und – sagen wir – dr Arabi pfeifen und trommeln würde. Wilde Fasnacht halt.

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