Gleichstellung in der Schweizer Kultur? Fehlanzeige

Wie geht es Frauen im Schweizer Kultur­betrieb? Stehen ihnen dieselben Möglichkeiten offen wie Männern? Und verdienen sie dabei gleich viel? Eine Untersuchung des Fachbereichs Gender Studies der Universität Basel zeigt: Es gibt Nachholbedarf.

In der Schweizer Kulturszene geben vor allem Männer den Ton an. (Symbolbild)
In der Schweizer Kulturszene geben vor allem Männer den Ton an. (Symbolbild) (Quelle: Unsplash / Samuel Sianipar)

In der Schweiz ist wenig systematisches Wissen darüber vorhanden, wie sich die Geschlechterverhältnisse im Kulturbereich präsentieren. Geschlechterspezifische Daten und Statistiken fehlen in vielen Kulturbetrieben und in der Kulturförderung.

Verschiedene Akteur*innen aus dem Kulturbereich und der Kulturpolitik fordern deshalb seit einiger Zeit eine umfassende Studie zum Thema Chancengleichheit, zumal die angemessene Vertretung der Geschlechter in der Kulturbranche ein Ziel der Kulturpolitik des Bundes ist (Kulturbotschaft 2021–2024).

Um zu eruieren, wo gegebenenfalls Nachholbedarf besteht, haben Forschende des Zentrums Gender Studies der Universität Basel gemeinsam mit der Social Insight GmbH die Situation in der Schweiz im Rahmen einer Vorstudie genauer untersucht. Die Forschenden haben sich die Sparten Darstellende Künste (Tanz und Theater), Literatur, Musik und Visuelle Kunst vorgenommen.

Dabei analysierten sie Daten von insgesamt 38 Kulturhäusern und ‑betrieben, 16 Betriebs- und Produktionsverbänden sowie 17 Berufsverbänden. In die Untersuchung miteinbezogen wurden auch Preise und Stipendien, die der Bund und 14 Kantone in den Jahren 2000 bis 2020 vergeben hatten.

Das Stereotyp des männlichen Genies ist noch sehr präsent und hält sich hartnäckig, sowohl bei Frauen als auch bei Männern.

Eines der Ergebnisse der Vorstudie

Um die quantitativen Ergebnisse interpretieren zu können, haben die Forschenden verteilt auf die vier Sparten zudem qualitative Interviews geführt. Die Datenlage ist allerdings schlecht. «Dass so wenige Zahlen vorhanden sind, hat uns erstaunt», sagt Projektleiterin Andrea Zimmermann. Vor allem wenn es um Löhne und Honorare geht, gibt es kaum Informationen.

Tabuthema Lohn

Die Ergebnisse der Vorstudie zeigen deutlich: Das Stereotyp des männlichen Genies ist noch sehr präsent und hält sich hartnäckig, sowohl bei Frauen als auch bei Männern. «Das macht es einerseits den Frauen schwerer, in der Kulturbranche Fuss zu fassen, andererseits baut es auch für die Männer enormen Druck auf», resümiert Andrea Zimmermann. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist mit der Künstlerfigur, die unabhängig ist und nur für die Kunst lebt, schlecht zusammenzubringen.

Das spiele auch beim Lohn eine Rolle: «In der Szene gilt immer noch: Über Geld spricht man nicht. Kunst macht man aus Leidenschaft», so die Geschlechterforscherin. Das führe zu Intransparenz oder gar zu Lohndumping.

Bajour-Herz
Wir haben einen Einheitslohn.

Und dank dir können wir ihn uns leisten. Danke danke danke 🤍

Prekäre Einkommen kamen im Rahmen der Vorstudie geschlechterübergreifend zur Sprache und es gebe Hinweise auf einen Gender Pay Gap. Allerdings liegen kaum systematisch erhobene, konkrete Zahlen aus den einzelnen Sparten zu den aktuellen Lohnverhältnissen vor. Weitere Erhebungen seien hier folglich dringend notwendig.

Die Musikbranche ist das Schlusslicht

Überrascht hat die Forscherin auch, wie wenig Frauen in einer Leitungsposition den Kulturbetrieb mitgestalten. In der Sparte Musik zeichnet sich eine besonders prekäre Situation ab, sowohl in Bezug auf Frauen als Entscheidungsträgerinnen als auch auf die Sichtbarkeit von Künstlerinnen und ihrer Werke.

Auf der Bühne sind sie vor allem in den Bereichen Rock und Pop sowie im Jazz wenig sichtbar. Am ausgewogensten ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern hingegen in der Sparte Literatur. In manchen Bereichen sind hier die Frauen gar in der Überzahl – eine absolute Ausnahme im Rahmen der Vorstudie.

Nun sind Taten gefragt

Die Forschenden empfehlen aufgrund ihrer Erkenntnisse aus der Vorstudie, die Lohnthematik unter die Lupe zu nehmen. Auch der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sollte man in struktureller Hinsicht nachgehen. Zudem fehlt Wissen über Berufsverläufe von Kulturschaffenden: Warum haben sich Künstler*innen für oder gegen die Fortsetzung einer künstlerischen Laufbahn entschieden?

«Nur wenn die offensichtlich gewordenen Wissens- und Datenlücken gefüllt werden, lassen sich gezielte Massnahmen entwickeln und umsetzen.»

Andrea Zimmermann, Projektleiterin

Weiter sollten die Bereiche der Förderung auf verschiedenen Ebenen sowie die Ausbildung und die Hochschulen näher betrachtet und in die Auswertungen miteinbezogen werden. Es gelte ferner, die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse zu reflektieren. «Die Ergebnisse werden zu Diskussionen führen», so Zimmermann. Sie nehme in der Branche durchaus eine grosse Bereitschaft für Veränderungen wahr. Vieles werde bereits diskutiert.

«Nur wenn die offensichtlich gewordenen Wissens- und Datenlücken gefüllt werden, lassen sich gezielte Massnahmen entwickeln und umsetzen», ist Andrea Zimmermann überzeugt. Ein nachhaltiges Monitoring der Zahlen liesse zudem Schlussfolgerungen zu, welche Massnahmen wie greifen.

__________

Dieser Artikel stammt von DeFacto, der Plattform der Schweizer Politikwissenschaft und ist am 19. Juli publiziert worden. Wir durften ihn von den Kolleg*innen übernehmen. Herzlichen Dank.

DeFacto – belegt, was andere meinen

DeFacto bringt Resultate der universitären Forschung sowie Expert*innenwissen aus der Politik- und verwandten Sozialwissenschaften einem interessierten Publikum näher.

Mehr dazu

Basel Briefing

Das wichtigste für den Tag
Jetzt Abonnieren
Jetzt Member Werden

Das könnte dich auch interessieren

Im Jugendhaus "Sommercasino" an der Muenchensteinerstrasse 1 in Basel sitzen bei einer Veranstaltung Jugendliche im dekorierten Saal bei Coca-Cola und Weisswein, aufgenommen am 5. April 1966. (KEYSTONE/PHOTOPRESS-ARCHIV/Roethlin)

Valerie Wendenburg am 08. Mai 2024

«Ich verbinde mit dem Soca einen wichtigen Teil meiner Jugend»

Das legendäre Sommercasino im Gellert soll Ende September geschlossen werden. Sollte nun der Kanton einspringen und das Jugendkulturzentrum retten? Unsere Leser*innen finden: Ja. Und schwelgen in Erinnerungen.

Weiterlesen
Das Kollegienhaus der Universitaet in Basel, am Montag, 5. Februar 2024. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Valerie Wendenburg am 07. Mai 2024

«Die Welt verstehen, wie sie heute ist»

An der Uni Basel diskutierten vier Wissenschafter*innen über postkoloniale Theorien und die aktuellen Debatten. Seitens der Uni sollte die Situation im Nahen Osten explizit nicht im Vordergrund stehen – aber nicht alle Beteiligten hielten sich an diese einschränkende Vorgabe.

Weiterlesen
Morow BajourBeat Tanz

Jan Soder am 06. Mai 2024

Morow – «Race»

Der Basler Rapper zeigt sich auf seiner aktuellen Single von einer neuen Seite, setzt ein Zeichen gegen seine Kritiker*innen und macht einen weiteren Schritt in Richtung Album.

Weiterlesen
rain3

Valerie Zaslawski am 30. April 2024

Queers fühlen sich aussen vor

Der Kanton hat einen auserwählten Kreis über die Umsetzung des jüngst beschlossenen Gleichstellungsgesetzes informiert. Dabei geht es vor allem um Geld. Die Kritik: So eine Veranstaltung sollte öffentlich sein.

Weiterlesen

Kommentare