Grossrät*innen ziehen nach Missbrauchsvorwürfen die Notbremse

Eigentlich sollte die Ballettschule mehr Subventionen erhalten, doch die Politik krebst nun zurück, nachdem Bajour und die NZZ am Sonntag am Wochenende Missbrauchsvorwürfe publik gemacht hatten.

Ballett
Der Vorstand der Ballettschule hat mittlerweile eine unabhängige Untersuchung angekündigt. (Quelle: Gez Xavier Mansfield / Unsplash)

Der Ballettschule Basel geht es finanziell nicht gut. Diesen November hätte das Parlament über Finanzhilfen für die Schule diskutiert. Catherine Alioth von der LDP hatte eine entsprechende Motion eingereicht, sie wurde im Oktober durchgewunken. Jetzt hätte der Grosse Rat ein zweites Mal befinden müssen. Doch nun sieht alles anders aus. Grossrät*innen, die anfänglich für die Finanzhilfen waren, sind sich jetzt nicht mehr so sicher. Die Motionärin Alioth sagt: «Nach den Enthüllungen muss die Sache neu diskutiert werden.» 

Am Sonntag haben sich auf Bajour und in der NZZ am Sonntag 33 ehemalige Schüler*innen zu Wort gemeldet. Sie berichteten unter anderem von Demütigung und anzüglichem Verhalten. Die Ballettschule hatte zuerst alle Vorwürfe abgewiesen. Mittlerweile hat der Vorstand eine unabhängige Untersuchung angekündigt und die Direktorin der Schule freigestellt.

«Nach den Enthüllungen muss die Sache neu diskutiert werden.» 

Catherine Alioth, LDP-Grossrätin

Alioth ist Mitglied des Verwaltungsrates des Theater Basel, das enge Beziehungen zur Ballettschule pflegt. Nun wird Alioth voraussichtlich im November die Motion zurückstellen lassen. Den würde auch SVP-Grossrätin Jenny Schweizer, welche die Motion ebenfalls unterschrieben hat, unterstützen: «Bewahrheiten sich die Vorwürfe, hat die Schule kein Anrecht auf staatliche Gelder.»

Die Ballettschule wird heute schon vom Kanton unterstützt – in ihrer Funktion als Ausbildungsstätte. Jährlich spricht das Erziehungsdepartement Lernenden mit Wohnsitz im Kanton je 18'000 Franken Ausbildungsbeitrag. Ansonsten finanziert sich die Schule über Drittmittel.

Nun möchten Vertreter*innen aus der Politik, mit denen Bajour geredet hat, aber noch einmal grundsätzlich über die Zukunft der Schule sprechen. Ist etwas schief gelaufen in der Vergangenheit? Und wenn ja, wie kann man das in Zukunft verhindern?

Ballett ein Spitzensport

Eins ist klar: Ballett ist ein Spitzensport. Der fordert viel von den Tänzer*innen. So sagt Olivier Battaglia, ebenfalls LDP und Mitunterzeichner der Motion: «Spitzenballett ist dabei sicher etwas Extremes.» Es sei wichtig, dass Menschen, die sich für diesen Weg entscheiden, eine gute Ausbildung absolvieren können. Allerdings glaubt er, dass sich das Genre verändert: «Der Tanz auf der Spitze beispielsweise wird heute viel weniger gefordert.» Battaglia fehlt er auch nicht. 

Er sieht die Konsument*innen, das Publikum, in der Verantwortung, sie müssten Bereitschaft zeigen, mehr Toleranz in Sachen körperlichen Vorgaben zu zeigen. Man könne die Ästhetik der dünnen Körper auch mal hinterfragen. 

«Der Glaube, dass Tänzer*innen leiden müssen, um wahre Kunst zu erschaffen, ist eine Mär aus dem letzten Jahrhundert.» 

Sasha Mazzotti, SP-Grossrätin

Die Existenzberechtigung des klassischen Balletts stellt von den angefragten Politiker*innen aber niemand in Frage. Sasha Mazzotti, beispielsweise, ist selbst Theaterschaffende und hat eine Liebe vor allem für den modernen Ausdruckstanz. Sie wundert sich zwar, dass Hochleistungssport wie Ballett, aber auch etwa Rhythmische Sportgymnastik, immer noch solche Schlagzeilen machen. Ein Beispiel war die grosse Recherche über die Magglingen-Protokolle des Magazins: «Die Message muss doch endlich angekommen sein!», findet die Sozialdemokratin, die zudem in der Bildungskommission sitzt. 

Sie möchte nicht gleich das Kind mit dem Bad ausschütten. Denn sie ist überzeugt, die Ausbildung könne auch im klassischen Ballett so ausgestaltet werden, dass einerseits Exzellenz gefördert, andererseits auf die Gesundheit der Tänzer*innen - sowohl physisch wie psychisch - gewährleistet wird. «Der Glaube, dass um wahre Kunst zu erschaffen, gelitten werden muss, ist eine Mär aus dem letzten Jahrhundert.» 

Mazzotti könnte sich auch auf kantonaler Ebene eine Meldestelle für Schüler*innen vorstellen, damit den Auszubildenden klar ist, wo sie sich melden können. Eine solche fände auch GLP-Grossrätin Sandra Bothe sinnvoll. Auch sie ist Mitglied der Bildungskommission. Ausserdem möchte sie dem Erziehungsdepartement (ED) nun auf den Zahn fühlen. «Gemäss dem Bajour-Bericht hätten diverse Gespräche mit den Behörden stattgefunden, aber wurde überprüft, ob und welche Massnahmen umgesetzt wurden?»

Kulturwandel befürwortet

Diese Behörde ist für die Aufsicht verantwortlich, den die Ausbildung zum*zur Bühnentänzer*in an der BTB ist eine Berufslehre mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis (EFZ). Wie Mediensprecher Simon Thiriet auf Anfrage sagt, begrüsse die Behörde, dass nun Bewegung in die Sache komme: «Das Erziehungsdepartement befürwortet einen Kulturwandel». Überrascht zeigt er sich über die 33 publik gemachten Fälle. Dem ED liegen 7-8 Fälle aus den Sportklassen und je nach Zählweise 0-1 Fall aus der EFZ-Richtung vor. 

Laut Thiriet will der Kanton den Austausch zwischen den beiden Abteilungen Sportamt und Lehraufsicht anschauen. Und verteidigt sich gleichzeitig: «Man kann uns nicht vorwerfen, dass wir nicht thematisiert haben. Es fand nach jeder Meldung ein Gespräch mit der BTB statt.» Verbesserungspotenzial sieht Thiriet dennoch: Das Sportamt und die Lehraufsicht müssten besser voneinander wissen, was der*die andere Seite mache. «Da haben wir uns nicht mit Ruhm bekleckert.» Schwierig sei gewesen, dass die Meldungen über die Jahre verteilt eintröpfelten und vom ED  vermutlich zu sehr als Einzelfall behandelt wurden.

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